Du verstehst mich nicht.
Und das ist OK.

Über Verständnis und Toleranz.

So manches bleibt uns ein Rätsel, ganz egal wie gut wir uns ansonsten in unsere Lieben hineinversetzen können. Wir alle ticken eben anders. Das macht uns so speziell, so kompliziert und ja, manchmal sogar unbegreiflich.

Warum überhaupt wollen wir einander verstehen?

Indem wir andere verstehen, entsteht Nähe und ein Gefühl von Verbundenheit. Deshalb ist es gut, dass wir uns Mühe geben und versuchen, einander zu begreifen. Manchmal klappt das, manchmal nicht. Wir müssen nicht alles verstehen und können einander dennoch nah sein. Ich erlebe die Dynamik des Verstehens und der Verbundenheit sowohl im privaten Umfeld als auch beruflich in meinen Gruppentrainings, Coachings und Ausbildungen.

Darf’s a bissl mehr sein?

Haben eure Lieben auch Vorlieben und Eigenheiten, die ihr, egal wie sehr ihr euch bemüht, einfach nicht verstehen könnt? Geht mir auch so. Tom und ich teilen grundsätzliche Anschauungen darüber, was uns wichtig ist und wie unser Leben aussehen soll, doch wir sind auch komplett verschieden – unsere Sichtweisen sind oft völlig konträr. Es fängt beim Essen an ; ) Ich liebe Spaghetti mit Tom’s hausgemachter Spezial-Tomatensoße. Das Verhältnis Nudeln/Soße ist bei mir zwei Drittel/ein Drittel. So liebe ich sie, die Spaghetti, kaum auffindbar unter ganz viel Soße. Tom hingegen isst sie am Liebsten fast ohne. Selbst wenn er nur ganz wenig Soße draufmacht, bleibt am Ende immer noch welche in seinem Teller (mach dir keine Sorgen über Soßenverschwendung…ich futtere sie immer auf). Es ist mir offen gestanden ein absolutes Rätsel, wie ihm das schmecken kann. Umgekehrt geht es Tom genauso. Es ist ihm unbegreiflich, dass mir meine Variante am Besten mundet.

Überhaupt kein Druck, aber…

Das Essen ist eine Sache, aber unsere schöne Verschiedenheit blubbert natürlich überall und immer wieder an die Oberfläche. Ich hatte das Thema des einander Verstehens kürzlich in einem Zoom-Coaching Gespräch mit einer lieben Kundin und bin zum Entschluss gekommen, es ist so spannend und so wichtig, dass es sich einen eigenen Artikel verdient hat. Was hat es also mit dem Verstehen auf sich und wie können wir miteinander harmonisch leben, auch wenn wir nicht alles verstehen?

Erst im Schreiben dieses Artikels ist mir aufgefallen, dass „das Verstehen“ eine etwas andere Bedeutung hat als „Verständnis“. Hast du das schon mal bemerkt? Sprache ist wahrlich erstaunlich. Es steckt immer viel mehr in den Worten, als beim ersten Hingucken sichtbar ist. So versteckt sich in „verstehen“ ein Hauch von Leistungsdruck; gerade genug, um Stress zu verursachen. Verstehen bedeutet nämlich, dass wir etwas können: ich kann dich verstehen, ich kann nachvollziehen wie es dir geht, ich kann abschätzen wie das für dich ist, ich kann eine Sache so sehen, wie du.

Egal, was wir im Leben machen – selbst wenn es das Einschlafen am Abend ist – es geht immer um’s Können.

Dieser Druck, schwingt er auch noch so hintergründig mit, reicht aus, um uns zu stressen. Warum? Weil der Druck etwas können zu müssen, also Leistungsdruck, allgegenwärtig ist. Egal, was wir im Leben machen – selbst wenn es das Einschlafen am Abend ist – es geht immer um’s Können (zumindest scheint es uns so). Wer kann, ist besser und gewinnt. Im Job, in der Yogaklasse, in der Kindererziehung. Wo Druck ist, steht die Luft und blockiert die Fähigkeit, über das Problem hinaus zu sehen. Wollen wir mal ein bisschen die inneren Fenster öffnen und die Luft in Bewegung bringen?

Die Brücke schlagen

Rücken wir das Verstehen etwas auf die Seite und befassen uns mit dem Verständnis füreinander. Verständnis zeigen ist frei von der Forderung des Könnens. Verständnis lädt uns ein, unsere Perspektive zu wechseln und uns auf eine andere Betrachtungsweise einzulassen. Sobald wir Verständnis haben, wissen wir mehr als zuvor, denn wir haben ja waghalsig über unseren Tellerrand hinweg geblinzelt und genau das ist der magische Moment: Eine neue Sichtweise zeigt uns ihre Schönheit.

Akzeptanz ist die Brücke zwischen uns, wenn das Verstehen unsere Verschiedenheiten nicht überwindet.

Was passiert in diesem Augenblick, wenn wir unser vertrautes Weltbild für einen Moment verlassen, um die Sache aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten? Akzeptanz erwacht in uns. Wir akzeptieren die Sichtweise eines anderen Menschen. Selbst wenn wir auf diese neue Sichtweise starren und sie dennoch nicht begreifen können, hilft uns allein der Wunsch etwas zu verstehen, es zu akzeptieren. Akzeptanz ist alles, das nötig ist, um respektvoll und liebevoll miteinander zu leben oder auch zu arbeiten. Sie ist die Brücke zwischen uns, wenn das Verstehen unsere Verschiedenheiten nicht überwindet.

Einen Versuch ist’s wert

Wir können also getrost Frieden schließen damit, dass wir nicht immer alles verstehen müssen. Es ginge gar nicht, denn wir sind alle so wunderbar verschieden. Einander zu akzeptieren und anzunehmen auch ohne alles zu verstehen, schafft eine Art von Nähe, die vielleicht sogar tiefer geht, als das Verstehen. Der Versuch einander zu verstehen ist wichtig, denn dieser ermöglicht dort, wo wir einander unbegreiflich bleiben, ein liebevolles Annehmen.

Der Versuch einander zu verstehen ist wichtig, denn dieser ermöglicht dort, wo wir einander unbegreiflich bleiben, ein liebevolles Annehmen.

In einer erfüllenden Beziehung müssen wir uns nicht immer in allem einig sein und nicht alles verstehen. Ich denke, dass ja genau darin die spannende Lebendigkeit von Beziehungen schwingt. Die Tatsache, dass mir Tom ewig ein Rätsel bleibt, obwohl ich ihn so gut kenne, ist doch fantastisch! Wie soll jemals Beziehungsroutine aufkommen, wenn wir einander ewig spannend und geheimnisvoll finden? Außerdem wachsen wir über uns selbst hinaus. Wir fahren uns nie fest in unseren Ansichten, sondern werden immer wieder aufgerüttelt und aufgefordert, uns für andere Sichtweisen zu öffnen und somit unseren Geist wach und unser Herz offen zu halten. Huch, schon sind wir mitten in der Potenzialentfaltung!

Ich lade uns alle daher ein, dass wir weiter unser Bestes geben einander zu verstehen und einander zu begreifen, damit wir greifbar – also einander nah – sind. Unser Bestes ist immer genug. Allein die Mühe, der Versuch, das Wollen, ist wertvoll. Es zeigt, dass wir aneinander interessiert sind und das ist wohl einer der wichtigsten Aspekte eines liebevollen Miteinanders: nie endendes gegenseitiges Interesse. Doch schließen wir gleichzeitig auch Frieden damit, dass wir nicht alles verstehen können und machen uns keinen Druck diesbezüglich. Dass wir nicht jede Eigenheit als logisch erleben und nicht auf jeden Gedankenzug aufspringen können, ist OK.

Staunen statt verstehen

Wenn das Verstehen auf verschlossene Türen trifft, dann schmunzeln wir und aktivieren die wundersame Kraft der Akzeptanz. Es ist ein unfassbar wertvolles Geschenk jemandes Eigenheiten anzunehmen, obwohl wir diese nicht annähernd verstehen. Wir wollen und dürfen sein, wie wir sind, auch wenn manches für andre rätselhaft ist. Mal unerklärlich zu sein ist nicht schlimm – ganz im Gegenteil. Ist es nicht reizvoll ein geheimnisvoller, spannender Mensch zu sein bzw. jemanden um sich zu haben, den/die wir zwar in und auswendig kennen, aber uns dennoch immer wieder überrascht und in Staunen versetzt?

Es ist ein unfassbar wertvolles Geschenk jemandes Eigenheiten anzunehmen, obwohl wir diese nicht annähernd verstehen.

Genau dieses Staunen über die Einmaligkeit jedes Menschen hilft mir auch beruflich in meinen Yuna Ausbildungen, Coachings und Gruppentrainings. Sobald es um Fitness, Yoga oder Dehnungen geht, merken wir sehr schnell, wie unterschiedlich wir alle nicht nur innerlich sondern auch körperlich sind. Es ist erstaunlich, wie sich eine Kundin/ein Kunde in einer Bewegung pudelwohl fühlt, in der mein Körper niemals sein kann – ja wo es für mich sogar zu einer Verletzung kommen könnte, würde ich dasselbe versuchen. Gerade wenn es um Innen- oder Außendrehungen der Oberschenkel geht, ist das sehr oft der Fall. Feine oder nicht so feine Unterschiede im Knochenbau zeigen sich in jeder Bewegung. Dabei ist weder eine Variante besser oder schlechter als die andere – es ist einfach, wie es ist und es ist bei jedem Menschen anders. Eben darum geht es in einer Yuna Klasse und auch im Leben: Herausfinden was ist meins und das dann durchziehen, egal was die andren machen und egal, ob es jemand anders nachvollziehen kann oder nicht.

Gerade im Unterrichten und im Coaching wollen wir das Staunen nie verlernen und nie vergessen, dass wir andere Menschen begleiten dürfen und ihnen niemals unseren Weg aufzwingen, sondern Raum geben, dass sie ihre ganz eigene Art zulassen. Egal ob beruflich oder privat: Wir begleiten einander, wir sind uns nah, wir gehen gemeinsam, aber verlieren uns selbst dabei nicht.

Das Pflänzchen gießen

Jetzt kommt sie, die große Erkenntnis aus all dem. Bist du bereit? Also, hier kommt’s: Niemand muss die Bewegungen so machen wie wir. Niemand muss die Welt so sehen wie wir. Niemand muss das Leben nach unseren Vorstellungen gestalten. Niemand muss die Spaghetti so essen, wie wir sie am Liebsten mögen.

Bleiben wir neugierig aufeinander und leben in einem fröhlichen Spiel aus Staunen, Toleranz und Nähe.

Verständnis zu haben und über unsere schönen Eigenheiten zu staunen, lässt das in unserer Welt so dringend gebrauchte Pflänzchen, die Toleranz, wachsen und gedeihen. Also bleiben wir neugierig aufeinander und leben in einem fröhlichen Spiel aus Staunen, Toleranz und Nähe. Mit dieser Einstellung lernen wir nie aus, denn die Welt und die Menschen bleiben ewig bunt und spannend statt gewohnheitsgrau. Immerzu wird unsere Lust geweckt, das Leben und unsere Lieben immer wieder auf’s Neue kennen zu lernen.


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  • Liebe Suzanne!

    Vielen Dank für deinen Artikel, in dem so viel Wahrheit steckt!
    Wir alle sind ja immer wieder verleitet, den Mantel der eigenen Wahrheit und der eigenen Werte anderen umzulegen!
    Dabei steckt eine unsagbare Freiheit und Liebe im Anderssein! Jeder Schmerz des ‚nicht verstehen könnens‘ kann dann in etwas Wunderbares verwandelt werden!
    Ich liebe es!
    Danke!
    Alles Liebe Kathi

  • Liebe Kathi,
    vielen Dank für deine liebevollen Worte! Ich freu mich sehr, dass dir der Artikel und meine Sichtweisen gut tun. So wünsch ich mir’s wenn ich schreibe : )
    Ein großes Lächeln, Suzanne

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